Die Kunst anderen Flügel zu verleihen.


Ein Scheiß Tag. Zu viele Menschen, die dir sagen, dass du nicht genug bist. Die Stimme in deinem Kopf, die genau das immer wieder in dich rein schreit. Eigentlich eine scheiß Woche. Es ist erst Dienstag.


Und dann eine Nachricht, einer Person von der du dachtest, dass sie nichts mehr von dir wissen wollte. Ein Kompliment von einer leidenden Person, die sagt, dass es Menschen wie dich braucht. Ein Spiegelbild von dir an der Wand, das zeigt, wie toll du heute aussiehst. Dann ein Lied. „She loves control, she wants it her way. And there is no way she’ll let you stay. She makes you give it up.” Und es passt so gut. 


Solche Momente. Solche braucht es. Und es braucht Menschen wie dich, die sie bemerken. Sich daran hochziehen und wieder durchstarten. Weil Menschen wie du wissen, wie es funktioniert. Sie verstehen die Kunst sich selbst am eigenen Schopf aus dem Wasser zu ziehen. Wenn wir dann noch stark genug sind, anderen Menschen in Not zu zeigen und vor allem beizubringen, wie wir es geschafft haben: Dann beherrschen wir die Kunst anderen Flügel zu verleihen.


Für mich ist dieses Thema unglaublich vielschichtig und ich kann mich gar nicht recht entscheiden wo ich beginne. Am besten ich fange bei meinem bekannten Geschwafel über unsere Gesellschaft und ihren ganzen ermüdenden Seiten an. Wie immer halt ;) 
Wir leben im Konkurrenzkampf. Von klein auf wird uns beigebracht, dass wir zu anderen aufholen und sie dann überholen müssen. „Schau doch, Kind! Der Franz aus dem Kindergarten kann auch schon seinen Namen schreiben. Jetzt schreib doch endlich mal dieses Gedicht ab!“. Nun gut, das mag vielleicht etwas übertrieben sein, aber die Basis bleibt die gleiche: Der Vergleich mit anderen ist schon früh einer unserer primären Antriebe über sich hinauszuwachsen. Dieser Drang kommt aber nicht aus uns selber hinaus, sondern wird uns von der Außenwelt, meist unseren Eltern, in den Kopf gepflanzt. 
Zum Problem wird dieses Phänomen, wenn wir an einen Punkt kommen, an dem uns dieser Vergleich mit anderen einschüchtert. Dieser uns gar einbremst. Wir zum Stillsand kommen, der sich in eine Schockstarre verwandelt. Und der Schock geht erst weg, wenn eines verschwindet: Der Vergleich. Bei manchen Menschen tritt dieser Zustand schon in der Grundschule ein: „Ich hab schon wieder eine Vier in Deutsch geschrieben. Und eine Fünf in Mathe…Ich werde wohl nie auf das Gymnasium kommen. Die anderen sind einfach schlauer als ich. Am besten ich lasse es gleich sein mit dem Lernen.“. Bei anderen auf der weiterführenden Schule: „Ich hab schon wieder eine Vier in Deutsch geschrieben. Und eine Fünf in Mathe…Ich werde wohl nie mein Abi schaffen. Die anderen sind einfach schlauer als ich. Am besten ich lasse es gleich sein mit dem Lernen.“. Bei wieder anderen geschieht das alles während der Uni: „Ich hab schon wieder eine Absage auf meine Bewerbung bekommen. Das liegt bestimmt an meinen schlechten Uninoten…Ich bin auch einfach nicht klug genug für dieses Unternehmen. Die anderen Bewerber sind einfach besser als ich. Wieso mache ich das alles überhaupt?“. 
Erkennt ihr gewisse Ähnlichkeiten? All diese Menschen sind nicht dumm, keiner von ihnen ist nicht begabt genug, jeder von ihnen ist mehr als nur die Noten auf dem Papier vor ihnen oder die Absagen zu Jobs, die sie unbedingt wollten. 
Viele schlechte Erfahrungen, die wir machen in unserem Leben und die uns die Motivation zum weitermachen rauben, entspringen aus dem Vergleich und dem Urteil, das andere über uns fällen. Die Sache ist nur die: Wir können an der Tatsache, dass unser Wertesystem auf dem Konkurrenzkampf zwischen einander aufgebaut ist, nichts ändern. Es ist nun mal so wie es ist. Der Kapitalismus baut genau auf diesem Ansatz und ohne Frage ist er bei weitem erfolgreicher als es kommunistische Regierungen je waren. Die Frage ist also: Wie schaffen wir es dann, nicht aufzugeben?


Es gibt Menschen, die sind immer vorne mit dabei. Einer der Dinge, die mir aufgefallen sind, ist, dass ihr Fortschritt meist weniger mit Glück zusammen hängt. Diese Personen haben eines nur nie getan: Aufgehört, sich selbst wieder zum Aufstehen zu zwingen, wenn sie eine riesen Niederlage erlebt haben. Sie haben geflucht, ihre Wunden verarztet und dann bemerkt, was sie das nächste Mal besser machen sollten. Manchmal sagen sie auch einfach „Fuck this shit! Fuck you, fuck you, and fuck you! Ich werde es auch so schaffen!“. Es kommt alles zurück auf das Vertrauen, das du in dich selber hast und die Energie, die du in dir trägst und immer wieder selber entflammst. Dass das nicht einfach ist steht hier außer Frage. Es ist einer der schwersten Dinge, die man erlernen, und der größte Ausdauersport, den man betreiben kann. Wenn man Dinge will, so unbedingt will, dann hört man nicht auf darauf zu zurennen! Willst du es unbedingt genug? Dann hörst du nie auf es zu wollen. Und dann wird es dein Überlebensinstinkt dieses Verlangen am Leben zu halten.


Jetzt habe ich einen ziemlich großen Bogen gesponnen, um zu der eigentlichen Aussage dieses Textes zu gelangen. Ich bin der Meinung, dass es unter uns ein paar zu viele gibt, die nicht verstehen, dass der Erfolg eines anderen nicht bedeutet, dass der eigene oder man selber weniger Wert ist. Wenn diese Denkweise endlich aus allen Köpfen verschwinden würde, dann könnte man auch endlich mal offen auf der Straße „SCHEIßE!!“ rufen und niemand würde denken: „Tja, hat er mal wieder verkackt. Selbst schuld, dass ihm Mist passiert. Mir geht’s da ja besser…!“. Nein, man würde hingehen, ihn anlächeln, auf die Schulter klopfen, vielleicht sogar sagen „Wird schon wieder! Meld dich wenn du etwas brauchst!“ und weiter sein Leben führen. Auf Deutsch heißt so etwas Zivilcourage. Man kann es auch Empathieverhalten oder Nächstenliebe nennen. Auf Englisch sagt man auch: „Minding ones own fucking business.“. Finde ich auch ganz nett. Eigentlich ist es egal. Die Einstellung zählt. Die fehlende Arroganz und das eingestellte Ergötzen am Leid anderer zählt.
Der Wille unsere Gemeinschaft etwas stärker zu machen zählt.
Egal wer du und ich sind. Das zählt.

Aber soetwas ist schwerer als man zu glauben vermag, denn es bedeutet über seinen eigenen Schatten zu springen und das, was man von klein auf gelernt hat, zu unterdrücken. Aber wenn man das einmal geschafft haT, dann bringt es eine tiefere Zufriedenheit als der nächste Job, die nächste gute Note oder der nächste Gegenstand, den man sich kauft. Weil man weiß mit aller Sicherheit: Wenn bei mir mal etwas schief läuft, dann wird mich niemand verurteilen. Wenn schon, dann ist es mir egal, denn diese Person ist noch nicht in einem „mental reifen und zufriedenen Zustand“ angelangt. Und man kann sich endlich mit dem eigentlichen Problem befassen. Dem Vertrauen in sich selbst.


Ich würde gerne noch kurz darüber reden, warum ich meine, dass dieses ganze Thema einen Ursprung für Mobbing schon in jungen Jahren bei uns darstellt. Ein älterer Herr, mit dem ich mich vor kurzem unterhalten habe, erzählte mir zu meiner großen Verblüffung, dass es bei ihm früher soetwas wie Mobbing nicht gegeben hat. Ich konnte ihm das kaum glauben. „Bei uns in der Schule gab es einen autistischen Jungen. Es war unglaublich schwer sich mit ihm zu unterhalten, weshalb er anfangs nur wenige Freunde hatte. Aber wir bemerkten schnell, dass er ein unglaubliches Wissen über Literatur, Geschichte, Kunst und Mathematik hatte. Es war die reinste Freude von ihm zu lernen, wenn man sich die Zeit nahm ihm zuzuhören. Er ist noch heute einer meiner besten Freunde.“ Hört sich fast an, wie aus einem Jonas Jonasson Roman, in welchem man sich mit dem „100 Jährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ unterhält. Zu schön um wahr zu sein.


Doch in einem kleinen Fragment seiner Aussage liegt, denke ich, der Schlüssel: „…wenn man sich die Zeit nahm…“. Wie jeder gute Rentner im hohen Alter schimpft auch mein Gesprächspartner über unsere Handys und wie gruselig es doch ist in der Ubahn zu sitzen und „starrende Zombies“ um sich herum zu haben. Aber die Wahrheit in seinen Worten liegt darin, dass es stimmt, dass wir von der Geschwindigkeit, mit der wir Dinge bewerten und aufnehmen, sehr schwer weg können. Ein Bild auf Instagram. Geliked. Oder entfollowed. Eine Story auf Snapchat. Klick klick klick, übersprungen. Werbung zwischen den Posts. Einmal auf den Link gedrückt und schon hat man den neusten Lockenstab im Warenkorb. Ohne Frage, ich liebe es, dass das alles so unkompliziert funktioniert und ich tausend Dinge geleichzeitig tun kann. Aber trotzdem, wenn wir von all dem einmal wegschreiten, dann wollen wir alle das Gleiche. Glücklich sein. Und das bedeutet auch, sich nicht minderwertig zu fühlen, obwohl andere einem zu oft das Gefühl geben. 


Warum können wir uns dann nicht alle ein bisschen mehr Zeit nehmen, die Person gegenüber im Bus anschauen und sie anlächeln? Das dauert auch nur 2 Sekunden. Und ich schwöre, immer wenn das jemand bei mir gemacht hat, dann war ich richtig happy. Tief innen drin, weil man Sorgen plötzlich in Relation stellen konnte. 

Für mich gibt es kein besseres Gefühl als mit anderen ZUSAMMEN glücklich zu sein. Lasst es uns öfter versuchen.



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 All photos by Jan Nalivaika

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